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Die meisten Krebserkrankungen sind nicht die Folge von „Pech“

Antwort der Internationalen Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation auf eine Studie, in der behauptet wird, dass Lebensweise und Umweltfaktoren für weniger als ein Drittel aller Krebskrankheiten verantwortlich sind

Übersetzung der Pressemitteilung, herausgegeben von der IARC am 13.Januar

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO), widerspricht entschieden den Aussagen eines wissenschaftlichen Berichts der Doktoren C. Tomasetti und B. Vogelstein über die Ursachen von Krebs beim Menschen, die in dem Fachjournal Science am 2. Januar 2015 erschienen ist.

In dem Bericht, der große Resonanz in den Medien gefunden hat, wird die Zahl der Teilungen von Stammzellen verschiedenster Gewebe im Laufe des Lebens mit der Höhe des lebenslangen Krebsrisikos verglichen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass der reine Zufall (Glück und Unglück) den größten Beitrag zur Erklärung des Krebsgeschehens insgesamt liefert, und somit größer und wichtiger ist als erbliche Faktoren und äußere Einflüsse.

Für die Autoren des Berichts steht die Früherkennung bereits bestehender Krebserkrankungen im Zentrum der Krebsbekämpfung und nicht Anstrengungen, die die Entstehung einer Krebskrankheit verhindern sollen. Diese Aussage könnte zu ernstlichen Missverständnissen führen und negative Konsequenzen für die Krebsforschung und die öffentliche Gesundheitsförderung haben.

Die Experten der IARC weisen auf ernstzunehmende Widersprüche zwischen den Aussagen in dem wissenschaftlichen Bericht und dem aktuellen Erkenntnisstand der epidemiologischen Wissenschaft insgesamt, auf methodische Einschränkungen und Verzerrungen der Studienergebnisse hin.

„Wir wussten bereits, dass der Zufall dazu beiträgt, dass beim Einzelnen eine ganz bestimmte Krebskrankheit entsteht. Dennoch sagt das nichts über das Krebsrisiko in einer Bevölkerung aus“, erklärt IACR Direktor Dr. C. Wild. „Die Folgerung, dass Unglück die wichtigste Ursache von Krebs ist, wäre missverständlich und würde zudem von Anstrengungen ablenken, die Ursachen von Krebs zu erforschen, um das Auftreten von Krebs zu verhindern.“

Die letzten fünf Jahrzehnte internationaler epidemiologischer Forschung haben gezeigt, dass die meisten Krebserkrankungen, die in einer Bevölkerung häufig vorkommen, in einer anderen dagegen selten sind, und dass sich dies mit der Zeit ändern kann. So kommt beispielsweise Speiseröhrenkrebs in Ostafrika häufig, in Westafrika nur selten vor. Die Häufigkeit von Dickdarmkrebs, eine ehemals seltenere Krebskrankheit in Japan, hat sich innerhalb von zwei Jahrzehnten vervierfacht. Solche und ähnliche Beobachtungen sind typisch für die häufiger auftretenden Krebserkrankungen. Sie stehen in Einklang mit dem wesentlichen Beitrag von Umweltfaktoren und Lebensweisen bei der Entstehung von Krebs im Gegensatz zu den Beiträgen von Erbanlagen und dem Zufall („Pech“).

Darüber hinaus identifizierten die Experten der IARC einige Einschränkungen der Studie, darunter die Betonung sehr seltener Krebsarten, beispielsweise Osteosarkome [der Knochen] und Medulloblastome [des Nervensystems] die zusammengenommen nur einen sehr geringen Anteil an Krebs insgesamt ausmachen. Andererseits berücksichtigt die Studie weltweit häufige Krebserkrankungen nicht, deren Vorkommen in verschiedenen Bevölkerungen und zu unterschiedlichen Zeiten stark differiert wie beispielsweise Magenkrebs, Gebärmutterhalskrebs und Brustkrebs [die häufigste Krebskrankheit deutscher Frauen]. Für diese sind die Zusammenhänge mit Lebensweisen und Umweltfaktoren bekannt. Mehr noch: Die Studie geht ausschließlich von den Verhältnissen in den USA als Maßstab des lebenslangen Krebserkrankungsrisikos aus. Ein Vergleich der Krebshäufigkeit in unterschiedlichen Bevölkerungen hätte zu ganz anderen Ergebnissen geführt.

Obwohl schon seit längerem klar ist, dass mit der Zahl der Zellteilungen das Risiko von Fehlern, beispielsweise Mutationen zunimmt, und dadurch auch das Krebsrisiko, besteht für die Mehrzahl häufigerer Krebskrankheiten ein enger Zusammenhang mit Umweltfaktoren und Lebensweisen. Aus diesem Grund sind viele dieser Krebskrankheiten im Prinzip vermeidbar. Nach heutigem Wissensstand könnte nahezu die Hälfte aller weltweit auftretenden Krebserkrankungen verhindert werden. Diese Erkenntnis wird durch Ergebnisse sorgfältig angelegter wissenschaftlicher Studien gestützt, die eine erfolgreiche Reduktion des Krebsvorkommens nach präventiven Maßnahmen belegen. Bemerkenswerte Beispiele sind der Rückgang beim Lungenkrebs und anderen mit dem Zigarettenrauchen assoziierten Krebsarten [beispielsweise Krebs der oberen Atmungs- und Speisewege, Harnblasenkrebs] nach Reduktion des Rauchens und Abnahme der Häufigkeit von Leberkrebs bei Menschen, die gegen Hepatitis B geimpft wurden.

„Die verbleibenden Lücken bis zur vollständigen Aufklärung der Krebsentstehung sollten nicht der Einfachheit halber dem persönlichen Unglück zugeschrieben werden“, sagt Dr. Wild. „Die Suche nach den Ursachen von Krebs muss fortgesetzt werden, gleichzeitig müssen weiterhin präventive Maßnahmen bei Krebserkrankungen umgesetzt werden, deren Risikofaktoren bekannt sind. Dies gilt besonders für die Bevölkerung besonders benachteiligter Weltregionen, die von einem zunehmenden Krebsaufkommen bedroht sind, und nur über sehr begrenzte Ressourcen im Gesundheitswesen verfügen."

Weitere Informationen

Das englische Original: Stellungnahme der IARC

Die Studie aus der Johns Hopkins University School of Medicine, publiziert in „Science“

Stand: 21.01.2015

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